Was ist agile Führung?
Wir sind ein junges Unternehmen, aber ein Start-up sind wir nicht mehr. Umso wichtiger ist es uns, ein möglichst agiles Mindset zu leben und zu erhalten. Das ist vor allem an unserer Produktentwicklung zu erkennen.
Warum ergeben sich aus den agilen Werten veränderte Führungsansätze und wie sehen diese aus?
Die Führungskraft als Servant Leader
Die Natur der agilen Methoden lässt sich nicht mit den klassischen Führungsstrukturen vereinen. In einem Mindset, das durch Kommunikation auf Augenhöhe und Selbstorganisation geprägt ist, kann eine bedingungslose und ausschließlich durch Position legitimierte Führung nicht funktionieren. Autorität und Gehorsam passen nicht in dieses Mindset. Aber wie soll dann Führung im agilen Kontext aussehen?
Ein wichtiger Aspekt agiler Führung ist die Dezentralisierung von Macht. Hierzu werden Führungsaufgaben auf verschiedene Individuen verteilt. Die Grundidee agiler Führung, die disziplinarische Führung und produktverantwortliche Führung voneinander zu trennen, wird auch schon im Produktentwicklungsprozess bei Chrono24 gelebt. Dabei haben unsere Product Owner die Verantwortung für unsere Produkte und die disziplinarische Führung liegt bei den Heads und Directors.
Die spannende Frage ist, inwiefern sich die disziplinarische Führungskraft im agilen Umfeld von einer Führungskraft in einem klassischen, autoritären Umfeld unterscheidet. Das Stichwort hier ist: Der Servant Leader. Im agilen Kontext werden der Führungskraft drei Aufgabenbereiche übertragen: die Strategieentwicklung, die Mitarbeiterentwicklung und die Schaffung eines fruchtbaren Arbeitsumfelds. In gewisser Weise wird die Führungskraft zu einem Dienstleister, der die Interessen seiner Mitarbeiter vertritt. Es ist also nicht länger so, dass die Mitarbeiter die direkten Anweisungen der Führungskraft ausüben. Vielleicht habt Ihr in dem Zusammenhang auch schon mal von der sinnbildlich umgedrehten Pyramide gehört.
Was hat das ganze mit Selbstorganisation und intrinsischer Motivation zu tun?
Ein Aspekt, der nicht nur im Führungskontext, sondern generell bei Agilität wichtig ist, ist die Selbstorganisation der Mitarbeiter in ihren Teams. Das bedeutet, dass Mitarbeiter nicht länger durch ihre Führungskraft fremdbestimmt werden, sondern sie sich innerhalb ihrer Teams selbst organisieren bzw. managen. Abgesehen von Zielen und Prioritäten werden keine Vorgaben mehr an den Mitarbeiter kommuniziert. Hier darf nun das eigene Potenzial entfaltet werden, denn die Teams haben das relevante Wissen. Sie können genauer einschätzen, wer für welche Aufgabe infrage kommt, wie eine Aufgabe umgesetzt wird und was noch wichtiger ist, wer auf welche Aufgabe Lust hat.
Selbstorganisation wirkt sich außerdem maßgeblich auf die intrinsische Motivation einer Person aus. Die agile Arbeitswelt zeichnet sich dadurch aus, die Arbeit an den eigenen Stärken und Interessen auszurichten. Es ist zufriedenstellender an etwas zu arbeiten, für das man brennt, in dem man sich selbstverwirklichen kann, als Arbeit zu erledigen, die einen selbst langweilt oder von deren Wert man nicht überzeugt ist. In diesem Zusammenhang ist sicherlich auch das Konzept „New Work“ interessant.
Was bedeutet das für Führungskräfte?
Agilität ist kein Prozess, sondern ein Mindset. Damit echte Agilität gelebt werden kann, müssen die Werte hinter dem agilen Manifest verstanden sein. Das agile Manifest bildet den Grundstein und hält die Kernwerte des agilen Arbeitens fest. Dieses Mindset kann in einem Unternehmen nur dann überleben, wenn alle Hierarchiestufen die Werte verstanden haben und leben wollen.
Führungskräften möchte ich an dieser Stelle sagen: Habe keine Angst vor einem Machtverlust und fürchte Dich nicht davor, überflüssig zu werden. Du bist wichtiger denn je. Gemeinsam kann der Erfolg eines Unternehmens maximiert werden. Die Führungskraft ist der entscheidende Faktor zur Schaffung einer florierenden Umgebung, in der alle Mitarbeiter ihr Potenzial am effektivsten entfalten können. Du bildest die Rahmenbedingung, damit Mitarbeiter in den sogenannten „Flow“ kommen, in dem der Leistungswille am ausgeprägtsten ist und konstante Spitzenleistung erbracht werden kann. Selbstorganisation ist keine Eigenschaft, die wir automatisch mitbringen. Selbstorganisation muss gelernt und geübt werden und wir brauchen Dich, als unseren Coach und unsere Unterstützung.
Ein Schlüsselfaktor für dieses Mindset ist ein unumstößliches Vertrauen zwischen Führungskraft und Mitarbeiter, aber auch zwischen Teammitgliedern untereinander. Führungspersönlichkeiten müssen dazu die eigene Kontrolle abgeben und eine offene Kommunikation und vollständige Transparenz in den Teams, aber auch zwischen ihnen und den Mitarbeitern etablieren.
In einer agilen Welt ist eine leidenschaftliche Selbstverantwortung unerlässlich, die durch gute Führungskräfte motiviert und gestärkt werden kann und sollte.
Und was haben Führungskräfte davon?
The will to win, the desire to succeed, the urge to reach your full potential… these are the keys that will unlock the door to personal excellence.
– Confucius
Eine Führungskraft strebt mit dem eigenen Arbeiten ebenso danach, die Unternehmensziele zu erreichen, wie jeder andere Mitarbeiter es auch tut. Ein agiles Mindset und eine agile Führungsmentalität fördert ein Arbeitsklima, in dem Mitarbeiter ihre eigenen Potenziale bestmöglich entfalten können.
Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, dass durch eine agile Führungskultur bessere Ergebnisse erzielt werden können. Denn jemand der Probleme intrinsisch motiviert löst, erzielt bessere Ergebnisse als Jemand, der nur eine Liste an Aufgaben abarbeitet.
Die Do’s
Was sind dann also die konkreten Aufgaben einer agilen Führungskraft? Auch in einer agilen Welt fallen Aufgaben wie die Besetzung von offenen Stellen oder der Gehaltsverhandlung in den Zuständigkeitsbereich einer Führungskraft. Durch die Erfüllung welcher Aufgaben oder Eigenschaften wird ein Manager aber zu einer guten agilen Führungskraft?
Eine klare Priorität stellt die Förderung der Selbstorganisation dar und zugleich die Motivation der Mitarbeiter zu steigern. Erreicht werden kann dies durch die Schaffung einer engen Kommunikationsbeziehung zwischen ihnen selbst und dem Mitarbeiter und der Etablierung einer offenen Fehlerkultur (eine offene Fehlerkultur bedeutet nicht, dass jeder Fehler verzeihbar ist und unreflektiert wiederholt werden kann).
Eine solche Führungskraft sollte sich durch eine offene, kommunikative und empathische Art auszeichnen und die Fähigkeit mitbringen, den eigenen Mitarbeitern zu vertrauen und die Aufgaben gewissenhaft zu delegieren. Eine weitere Aufgabe ist die Schaffung von Transparenz auf allen erforderlichen Ebenen.
Die Don’ts
Was sind dann klassische Verhaltensmuster, in die eine agile Führungskraft besser nicht zurück fallen sollte?
Das allseits bekannte Zuweisen von Tasks an die Mitarbeiter, passt mit der Arbeit in einem Scrum Team nicht länger zusammen. Das Scrum Team ist aufgefordert, sich selbst zu organisieren und zu managen. Da passen Anweisungen vom Manager einfach nicht rein. In einer perfekten agilen Welt würde man seinen Mitarbeitern auch keine Lösungsräume vorgeben oder sie darin einschränken. Es würde den Mitarbeiter nicht nur in der Selbstorganisation einschränken, sondern im Zweifel das Ergebnis auch verschlechtern.
Ein weiteres No-Go wäre, seine Mitarbeiter über die erledigten Aufgaben berichten zu lassen. Ein bereits erwähnter Bestandteil einer gut funktionierenden agilen Führungskultur ist Vertrauen. Jeden Abend vor Feierabend eine Liste mit Dingen zu verlangen, die der Mitarbeiter tagsüber erledigt hat, ist allerdings das absolute Gegenteil von einer Vertrauensbeziehung und daher ein Verhaltensmuster, das nicht weiter toleriert werden sollte.
Ein scheinbar banaler Fehler wäre es, wenn eine Führungskraft in Terminen wie der Retrospektive oder Austauschterminen von Gruppen mitdiskutieren würde, in denen Sorgen und Ängste thematisiert werden sollen. Abgesehen davon, dass die Retrospektive beispielsweise ein Raum für offenes Feedback darstellen soll und Sorgen und Ängste vor einer disziplinarischen Führungskraft unter Umständen anders formuliert werden würde, wäre die Anwesenheit der Führungskraft nicht zuträglich. Das Gefühl eines wachenden Auges in der Runde, kann das Selbstmanagement des Teams bereits einschränken.
Und jetzt von Null auf Hundert zu agiler Führung?
So wie ein Mitarbeiter langsam an ein agiles und selbstorganisiertes Arbeiten herangeführt werden muss, so müssen auch Führungskräfte lernen zu vertrauen, Aufgaben zu delegieren und das agile Mindset zu verinnerlichen.
Die Umstellung auf eine agile Führungsmentalität kostet Zeit und Kraft. Allerdings ist es die Zeit und Kraft, die im besten Fall durch glückliche und intrinsisch motivierte Mitarbeiter, die ihre Potenziale bestmöglich für das Unternehmen entfalten können, belohnt wird.