Chatbots in der Luxusbranche: Kann das funktionieren?
Wir möchten mit unseren Nutzern in Kontakt treten. Deshalb war es uns wichtig, einen Chatbot als Angebot zu verstehen – als modernen und schnellen Kontaktkanal für alle, denen E-Mail-Kommunikation zu langsam ist und die weder Zeit noch Lust haben, mit uns zu telefonieren. Die Nutzung des Chatbots durfte demnach nicht verpflichtend sein und sollte sich nicht wie ein Hindernis anfühlen. Wir erhofften uns, mit dem Chatbot Nutzer zu erreichen, die sonst vielleicht nicht mit uns in Kontakt treten würden. Und wenn dies unseren Kolleginnen und Kollegen aus dem Customer-Relations-Team zusätzlich ermöglichen sollte, effizienter zu arbeiten – umso besser.
Als Teil des CR-Enabling-Teams ist es meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass alle Customer-Relations-Abteilungen – also alle Teams, die in direktem Kontakt zu Käufern, Privatverkäufern und/oder Händlern stehen – gut und effizient arbeiten können. Wir halten die Tools und Prozesse dieser Teams am Laufen und optimieren sie stetig. Dabei steht unser Servicegedanke immer im Mittelpunkt. Wir waren uns zunächst nicht sicher, wie unsere Nutzer auf einen Chatbot reagieren würden. Aber wir haben uns getraut, es auszuprobieren und möchten Euch nun an unseren bisherigen Erkenntnissen teilhaben lassen.
Vorbereitung, Einrichtung und Pflege
MVP (Minimal Viable Product)
„In der Branche sind Chatbots nicht verbreitet, das wird schon seinen Grund haben“, hätte man sich denken können. „Ein Bot passt nicht zu Luxusuhren, ein Bot kann keine Sicherheit vermitteln“, lautete eine Befürchtung – ohne, dass sich diese auf Fakten zurückführen ließ. Livechats sieht man aber durchaus auch in der Luxusbranche. Und da Livechats und Chatbots heutzutage kaum voneinander zu trennen sind: Wieso sollte nicht auch ein Bot funktionieren? Wir bei Chrono24 sind #ungeduldig und #ambitioniert und wollten es genauer wissen.
Aktuell bieten wir keinen 24/7-Support an, ein Bot könnte daher die Lücken zwischen unseren Supportzeiten schließen und dem Nutzer jederzeit Hilfe in seiner Sprache anbieten. Der Bot sollte mindestens unsere Hauptsprachen Englisch, Deutsch, Spanisch, Italienisch und Französisch abdecken. Idealerweise auch Kantonesisch, Mandarin und Japanisch. Leider sind letztere bei einigen (westlichen) Anbietern jedoch aus technischen Gründen (noch) nicht verfügbar.
Die Komplexität unserer Prozesse macht die Nutzung eines sogenannten „Klickbots“ schwierig – also ein Bot, dessen Fragen ein Nutzer über vorgegebene Buttons beantwortet. Dafür müsste man nämlich alle Antwortmöglichkeiten antizipieren und die Gedankengänge der Nutzer genau nachvollziehen können. Wenn wir einem Bot Zugriff auf unsere Daten geben würden, könnten wir jedoch einen individualisierten Support anbieten und die Klickwege verkürzen. Der Bot könnte direkt nach laufenden Bestellungen oder erstellten Inseraten schauen und zum entsprechenden Status Auskunft geben. Das bedeutet allerdings, dass eine Schnittstelle zu unserem Inhouse-CRM gebaut werden müsste, obwohl Entwicklerkapazitäten immer knapp sind und wir zu dem Zeitpunkt noch gar nicht wussten, ob unsere Nutzer sich überhaupt auf einen Bot einlassen würden.
Im Sinne der agilen Produktentwicklung haben wir für den Anfang auf Anbindungen an andere Systeme verzichtet und den Chatbot als alleinstehendes Produkt eingeführt. Zusätzlich haben wir uns dazu entschieden, uns auf Privatverkäufer zu fokussieren. Das sind Nutzer, die vereinzelt Uhren aus Ihrer Sammlung verkaufen und dabei häufig Unterstützung benötigen. Bei der großen Anzahl an Privatverkäufern auf Chrono24, die jeden Monat ihr erstes Inserat erstellen, wiederholen sich die Fragen natürlich irgendwann. Ein Bot könnte diese allgemeinen Fragen beantworten, vermuteten wir. Und unseren Kolleginnen und Kollegen könnte man so Zeit verschaffen, sich den komplexeren Fragen zu widmen. Durch den Verzicht auf die Anbindung an andere Systeme haben wir allerdings auch auf gewisse Auswertungsmöglichkeiten verzichtet. So können wir z. B. den Einfluss des Bots auf die Inserats-Conversion – also wie viele Inserate tatsächlich abgeschlossen und veröffentlicht werden – nicht bestimmen.
Anbieterwahl
Um den Chatbot zu testen, brauchten wir einen Partner. Bei der Auswahl des Anbieters war es uns wichtig, jemanden zu finden, der so tickt wie wir, genügend Erfahrung mitbringt und vor allem unsere Vorstellung von Service teilt oder zumindest versteht.
Unser Ziel war es, ein Hilfsangebot zu schaffen, ohne dass sich unsere Nutzer „abgewimmelt“ fühlen. Der Bot sollte ein Angebot, aber keine Hürde darstellen. „Deflection“ – für uns das Unwort in der Chatbotbranche. Immer geht es darum, Kunden davon abzuhalten, den Support zu kontaktieren und/oder sie zum Self-Service zu zwingen. Das wollen wir nicht. Wir sind #näher. Wir wollen, dass unsere Nutzer in Kontakt mit uns treten. Und in einem (damals) kleinen deutschen Start-up-Unternehmen haben wir schließlich einen Anbieter gefunden, der das ähnlich sieht.
Bot-Einrichtung und Pflege
Im Zuge eines Workshops haben wir die Bot-Struktur erstellt. In Vorbereitung dazu haben wir die häufigsten Fragen und die dazugehörigen Antworten zusammengestellt. Statt uns an den bestehenden FAQ entlangzuhangeln, haben wir uns dazu entschieden, direktes Kundenfeedback zu nutzen. Deshalb sind wir auf unsere CR-Kolleginnen und -Kollegen zugegangen. Sie kennen die häufigsten Fragen der Privatverkäufer aus dem Effeff und wissen, welche Antworten diese wirklich suchen. Mit diesem Wissen gewappnet, haben wir einen englischsprachigen Klickbot namens „Sally“ eingerichtet – mit 30 Lösungen für Anfragen von Privatverkäufern. Vor der Veröffentlichung haben unsere Kolleginnen und Kollegen aus dem Marketing selbstverständlich alle Fragen und Antworten lektoriert, um eine einheitliche und markenkonforme Sprache sicherzustellen.
Übrigens: Der Name des Bots wurde über eine interne Abstimmung gewählt. Die Kollegin, die den Gewinnervorschlag gemacht hatte, bekam eine Box mit besonderen Süßigkeiten als Dankeschön.
Sofort fingen unsere Nutzer an, mit Sally zu interagieren und siehe da – das Feedback war sehr positiv! Natürlich mussten wir noch weiter an der Baumlogik feilen sowie Themen hinzufügen und optimieren – bis heute sind wir in einem fortwährenden Weiterentwicklungsprozess und lernen stetig dazu. Die Kundenbewertungen sprechen jedoch für sich: Im letzten Jahr hatten 77 % der Bewertungen mindestens 4 von 5 Sternen.
Aufgrund des positiven Feedbacks wollten wir den Bot natürlich weiter ausbauen. Zunächst haben wir eine deutsche Variante des Bots angelegt, da Deutsch die Ausgangssprache für unsere Übersetzerinnen und Übersetzter ist. Anschließend kamen Versionen in Spanisch, Italienisch und Französisch dazu. Um den Aufwand zu verbildlichen: Wir benötigten für jede Sprache ca. 30 Lösungen; knapp 40 „Ja/Nein-Fragen“, um sich bei Bedarf beim Nutzer rückzuversichern; über 80 Multiple-Choice-Fragen und Antwortmöglichkeiten; eine Hand voll Module (z. B. ein Kontaktformular für weiterführende Fragen) und über 50 Einträge zum Bot-Charakter (z. B. Wie begrüßt Sally unsere Nutzer? Wie reagiert der Bot, wenn er Eingaben nicht versteht?). All diese Texte mussten lektoriert, übersetzt und schließlich manuell eingetragen werden.
Anzeige an URL vs. an Sprache geknüpft
Als weltweit führender Marktplatz ist es wichtig, Sprache nicht mit Standort zu verwechseln. Unsere Plattform wird in 22 Sprachen angeboten und viele dieser Sprachen sind mit einer eigenen URL verknüpft. Um Sally möglichst vielen Privatverkäufern verfügbar zu machen, haben wir die Anzeige des Bots an die Spracheinstellung und nicht an die URL geknüpft. So konnte die englische Version z. B. aus allen Ländern über alle URLs verwendet werden. Die gleiche Logik haben wir auch für alle anderen Sprach-Versionen von Sally verwendet. So konnten wir mit dem deutschsprachigen Bot z. B. Nutzer in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie alle deutschsprachigen Nutzer auf der ganzen Welt ansprechen.
Unsere Nutzer können den Bot unabhängig ihres Standortes in der von ihnen präferierten Sprache nutzen. Der Bot wird anhand der Spracheinstellung ausgespielt, zusätzlich können Nutzer selbstverständlich auch manuell unter den verfügbaren Sprachversionen wählen. Die Ergebnisse bestätigen, dass dies die richtige Entscheidung war. Bei Anfragen über die österreichische URL z. B. sehen wir in der Auswertung sowohl deutsche als auch englische Lösungen unter den meistangezeigten Antworten. Tatsächlich scheinen deutschsprachige Privatverkäufer sehr offen dafür, einen Bot zu nutzen. Wir sind gespannt, wie es sich bei italienisch-, spanisch- und französischsprachigen Privatverkäufern verhält. Regionale Unterschiede können wir durch diese Aufstellung allerdings nur bedingt in den Auswertungen erkennen.
Die Differenzierung von Sprache und Standort muss natürlich auch beim Erstellen der Inhalte bedacht werden. So können wir bei deutschsprachigen Texten z. B. nicht per se davon ausgehen, dass sich der Privatverkäufer in einem EU-Land befindet.
Hilfe über FAQ vs. direkt vor Ort
Bei der Integration des Bots mussten wir neben der Sprache natürlich auch über die Platzierung nachdenken. Auf welchen Seiten der Bot ausgespielt wird, wurde schließlich durch unsere bestehende Layerlogik und das Themengebiet bestimmt.
Einerseits wollten wir diesem Test nicht mehr Priorität geben als anderen Hilfsangebots-Layern, die ihre Wirkung schon bewiesen haben. Andererseits wollten wir idealerweise vermeiden, den Bot Nutzern und Händlern anzuzeigen, da er für diese keine Antworten bereitstellte. So wurde schnell klar, dass wir uns auf die für Privatverkäufer dedizierten Seiten konzentrieren würden. Konkret handelte es sich um Landingpages für Privatverkäufer, den Verkaufsbereich innerhalb des Chrono24 Kontos und die Privatverkäufer-FAQ.
Im Rahmen einer Analyse haben wir inzwischen bestätigt bekommen, dass unsere Bot-Nutzer nur in etwa 1 % der Fälle über die FAQ-Seite eine Unterhaltung beginnen. Die meisten Konversationen werden im Rahmen der Inseratserstellung (56%) und im „Verkaufen“-Bereich innerhalb des Chrono24 Kontos (43%) initiiert. Das bestätigt unsere Vermutung, dass Nutzer gerne einen Self-Service nutzen – sofern man diesen dort anbietet, wo sie sich gerade befinden. Umwege gehen oder danach suchen würden sie hingegen nicht. Hier zeigt sich auch der Vorteil eines Bots im Vergleich zu langsameren bzw. indirekteren Kommunikationswegen: Nutzer erhalten direkt an Ort und Stelle eine Lösung. Sie müssen dafür nicht auf anderen Seiten nach Antworten suchen, Öffnungszeiten beachten, zum Telefon greifen oder auf eine Antwort per E-Mail warten. Egal, wie schnell wir am Telefon oder per E-Mail antworten – ein Bot ist schneller. Das wissen unsere Nutzer anscheinend zu schätzen.
Was funktioniert und was nicht?
Klick Bot vs. NLP
Wie bereits erwähnt, hatten wir durchaus Bedenken, einen Klickbot einzusetzen. Sogenanntes „Natural Language Processing“ (kurz NLP) – also eine automatisierte Verarbeitung von frei eingegebenen Texten und Fragen – ist leider oft mit hohen Kosten verbunden oder nur in wenigen Sprachen verfügbar. In naher Zukunft wird sich dies dank ChatGPT ändern, bisher konnten wir diesen Chatbot jedoch nur eingeschränkt nutzen.
Für die englischsprachige Version unseren Bots haben wir aktuell NLP aktiviert – einfach, um es einmal auszuprobieren. Dabei gibt man dem Bot verschiedene Stichworte vor, die die KI als Beispiele verwendet, um zu ermitteln, wann welche Lösung angezeigt werden soll. Die Anzahl der Nutzungen hat sich dadurch nicht verändert, die Art der Nutzung hingegen schon. In den ersten Tagen wurde der Bot ca. 10-15 % weniger positiv bewertet. Die Erwartungen der Nutzer verändern sich offensichtlich durch das Angebot eines Freitextfelds. Plötzlich schienen sie deutlich höhere Erwartungen zu haben und u. a. davon auszugehen, dass ein Livechat an den Bot angebunden sei. In den Bewertungen und Folgefragen – die wir kontinuierlich beobachten – sind bis dato nie Fragen zu einem Livechat aufgekommen.
Durch die Anpassung der Einstellungen, der hinterlegten Stichworte und der Lösungen selbst konnten wir die Zufriedenheit auch mit NLP wieder auf den alten Stand zurückbringen und Nutzern noch mehr Flexibilität bieten.
Wir hatten gehofft, durch NLP auch die Zeit bis zur Lösungsfindung zu reduzieren, obwohl diese bereits geringer als der Durchschnitt war. Tatsächlich hat sich diese Zeit nach Einführung des NLP und auch später mit der Einführung zusätzlicher Sprachen ohne NLP nicht groß verändert. Bis auf einen sehr kurzen Anstieg aufgrund technischer Schwierigkeiten beim Einführen des NLP betrug die Zeit zur Lösungsfindung im Durchschnitt nur ca. 35 Sekunden.
Falsche Antwort vs. „unschöne“ Antwort
Eine Schwierigkeit, die wir bislang noch nicht lösen konnten, ist, dass einige Antworten von Nutzern grundsätzlich schlecht bewertet werden. Nicht etwa, weil sie inhaltlich falsch oder unverständlich wären, sondern weil sich die Nutzer etwas anderes erhofft haben. Dies entnehmen wir zumindest ihrem Feedback. Einige Privatverkäufer sind z. B. mit der Aussage unzufrieden, dass die Auszahlung des Kaufbetrags per Überweisung stattfindet und es üblicherweise 2-3 Werktage dauert, bis der Betrag dem Konto gutgeschrieben wird. Anhand dieses Feedbacks können wir den Bot nicht verbessern, dennoch ist es durchaus wertvoll für uns. Wir tragen es an unsere Kolleginnen und Kollegen aus dem Product Management weiter, um eventuelle Optimierungsmöglichkeiten in unseren Produkten und Prozessen zu identifizieren.
Ergebnisse und Fazit
Wir haben seit 2019 viel zum Thema Chatbot gelernt. Da unser Fokus bei der Anbindung nicht auf „Deflection“ lag, fehlen uns jedoch die Daten, um zu beurteilen, ob bzw. wie viele telefonische oder E-Mail-Kontaktaufnahmen uns der Bot eventuell erspart hat. Wir wissen aber, dass die Nutzer, die mit dem Bot interagiert haben, zufrieden waren – und das ist für uns viel wertvoller.
Deutlich wurde auch, dass die Chatbot-Nutzer Personen sind, die nicht nach Informationen suchen möchten, jedoch gerne Hilfe annehmen, wenn sie ihnen direkt angeboten wird. Sie nutzen den Bot nicht im FAQ-Bereich, sondern direkt dort, wo ein Problem oder eine Frage aufkommt.
Viele von ihnen nutzen den Bot auch in einer anderen Sprache als in ihrer Region üblich. Sie scheinen die Flexibilität zu begrüßen. Für uns als Betreiber des Bots bedeutet dies aber teilweise auch mehr Komplexität, was die Formulierung/Gestaltung der Antworten anbelangt, da sie für mehrere Regionen gleichzeitig passen müssen. Dies kann auch zu einer erschwerten Auswertung regionaler Unterschiede führen.
Eine weitere Erkenntnis: Sobald eine freie Texteingabe möglich ist, verändern sich die Erwartungen der Nutzer. Die eingegebenen Fragen bringen jedoch wertvolle Erkenntnisse, denn sie zeigen uns, woran wir noch nicht gedacht haben.
Wir sind noch lange nicht am Ende unserer Reise und möchten uns auch weiterhin mit dem Thema Chatbot auseinandersetzen. Wenn es die Roadmap erlaubt, möchten wir eventuell auch für Käufer und Händler einen Bot anbieten. Wir würden NLP gerne für alle Bot-Versionen aktivieren und generell noch weitere Sprachen zur Verfügung stellen – für die Menschen, die nicht gerne telefonieren, für die Ungeduldigen, für die Nachteulen und für die Frühaufsteher.